Berliner Großmeisterturniere, Teil 2
2. Juli 2009 von
Im zweiten und letzten Teil der Geschichte der Berliner Großmeisterturniere geht es um die Jahre von 1931 bis 2000. Danach fand kein Großmeisterturnier in Berlin mehr statt – bis heute.
Als schwierig bei den Recherchen erwies sich besonders der Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte der 1990er Jahre. Hier ist so gut wie nichts im Internet zu finden. Für Schachhistoriker scheint nur die Zeit vor 1945 interessant zu sein. In der Kürze der Zeit konnte ich natürlich nicht alle mir verfügbaren Schachzeitungen durchforsten. Das ein oder andere Großmeisterturnier könnte also unter den Tisch gefallen sein. Auch an Fotos mangelt es – zumindest im Internet.
1931: Meisterturnier des Berliner Schachheims
Das Berliner Schachheim ist eine Freie Schachvereinigung, die am 23. Februar 1921 mit dem Ziel gegründet wurde, “nicht allein den zahlreichen Berliner und in der Reichshauptstadt von auswärts eintreffenden Schachfreunden zum freien Spiel eine dauernd gesicherte Heimstätte, sondern auch eine möglichst großzügige Organisation zur künstlerischen Hebung und wissenschaftlichen Vertiefung des Schachspiels zu errichten.” Zum Vorstand gehörte u.a. Dr. Berthold Lasker, der Bruder des Weltmeisters Emanuel Lasker.
Zehn Jahre nach der Gründung des Schachheims gab es ein kleines Turnier an dem sechs Meister teilnahmen. Hermann Steiner, der im gleichen Jahr mit der USA-Mannschaft die Schacholympiade gewann, hatte das Glück auf seiner Seite und bog eine Verluststellung gegen Karl Helling in der letzten Runde noch in einen vollen Punkt um. Helling hätte mit einem Sieg selbst das Turnier noch gewinnen können. So blieb nur Platz 4 hinter den punktgleichen Carl Ahues und Ludwig Rellstab.
1935: Meisterturnier des BSV
Im Februar 1935 lud der Berliner Schachverband Meisterspieler aus ganz Deutschland zu einem Turnier ein. Durch die Teilnahme Jefim Bogoljubow’s wurde die Veranstaltung gekrönt. Während der neun Turniertage mußten die Teilnehmer zweimal umziehen. Zum Auftakt war das Café Viktoria Gastgeber. Danach zog die Karawane für vier Runden ins Klubheim Westen des Berliner Schachverbandes um, bevor im Café Viktoria das Turnier zu Ende ging.
Bogoljubow wurde seiner Favoritenrolle gerecht, auch wenn er nicht ungeschlagen blieb. Der Hamburger Meister Dr. Herbert Taube (am Ende Achter) nahm ihm einen vollen Punkt ab. Kurt Richter wurde punktgleich mit Bogoljubow Zweiter, einen halben Punkt vor Ludwig Rellstab und Fritz Sämisch.
1937: 110 Jahre Berliner Schachgesellschaft
Im März 1937 feierte die Berliner Schachgesellschaft ihr 110jähriges Bestehen mit einem starkbesetzten Turnier. Fritz Sämisch konnte in der letzten Runde den mit einem halben Punkt führenden Jefim Bogoljubow von der Spitze verdrängen. Heinrich Reinhardt, späterer Olympionike für Großdeutschland, bezwang als Einziger den Turniersieger und wurde Dritter.
Ende September folgte noch ein zweites Meisterturnier der Berliner Schachgesellschaft. Der spätere argentinische Großmeister Carlos Guimard siegte punktgleich vor Ludwig Rellstab.
Gespielt wurde in den Schachräumen des Café Viktoria. Das jahrelange Klubheim der Schachgesellschaft stand wegen eines Umbaus nicht zur Verfügung und mußte vom Verein aufgegeben werden.
1938: Albert Becker gewinnt
Der Österreicher Albert Becker war einige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Berlin und konnte ein stark besetztes Rundenturnier für sich entscheiden. Seine einzige Niederlage erlitt er gegen den immer in Zeitnot kommenden Fritz Sämisch. Sämisch blieb trotz des Sieges der letzte Platz nicht erspart. Er verlor alle anderen Partien!
Ludwig Rellstab wurde punktgleich mit Becker Zweiter. Erich Eliskases, Paul Michel und Kurt Richter folgten.
Becker gehörte 1939 gemeinsam mit Michel und Eliskases zum Aufgebot der großdeutschen Mannschaft für die Schacholympiade in Buenos Aires. Wegen des Kriegsausbruchs in Europa blieb die gesamte Mannschaft dauerhaft in Argentinien.
1940: Bogoljubow vorn
Jefim Bogoljubow gewann 1940 ein mit größtenteils nur Berlinern besetztes Turnier vor Kurt Richter und Herbert Heinicke.
1948: Dr. Lasker Gedenkturnier
Die Schachgruppe Friedenau richtete 1948 ein Gedenkturnier zu Ehren Emanuel Lasker’s aus. Dr. Heinz Lehmann gewann überlegen vor 13 weiteren Spielern mit 12 Punkten. Nur gegen Wilk und Vogt gab er zwei halbe Punkte ab.
Rudolf Teschner wurde mit 10,5 Punkten Zweiter klar vor Rudolf Elstner 8, der wenige Monate später die erste DDR-Meisterschaft in Sömmerda gewann.
1950: Sechsmeisterturnier
Nach dem Zweiten Weltkrieg weilte Ex-Weltmeister Max Euwe mehrmals in Berlin. 1949 hielt sich Euwe einige Tage in der Stadt auf und spielte bei mehreren Vereinen Simultan: Schachgesellschaft Eckbauer, Spandau-Haselhorst, Schachgesellschaft Wilmersdorf. In Uhren-Handikaps ließ er Eckbauer und der Schachgruppe Prenzlauer Berg keine Chance.
Während dieses Aufenthaltes nahm er die Einladung zu einem Sechsmeisterturnier an, welches ein Jahr später stattfinden sollte.
Beim Sechsmeisterturnier im August 1950 stellte er sich fünf Berliner Meistern in einem Rundenturnier. Nur gegen Rudolf Teschner gab er ein Remis ab. Kurt Gumprich, Willi Koch, Paul Mross und Udo Cawi unterlagen ihm. Teschner verpaßte den geteilten Turniersieg mit Euwe, weil er in der letzten Runde Cawi unterlag.
1954 war Euwe zum 60jährigen Bestehen des Spandauer SV noch einmal zu einem Simultan in Berlin eingeladen.
1962: Emanuel-Lasker-Gedenkturnier
Vom 8. bis 28. Juli 1962 sollte das Turnier im “Haus der Jungen Talente” in der Klosterstraße stattfinden. Auf der Einladungsliste standen u.a. UdSSR-Landesmeister Boris Spasski, GM Ludek Pachman aus der CSSR, GM Alexander Matanovic aus Jugoslawien, GM Karl Robatsch aus Österreich, die GM Lothar Schmid und Wolfgang Unzicker aus der BRD, Ex-Weltmeister Dr. Max Euwe und GM Jan Hein Donner aus Holland. Aus der DDR sollten u.a. GM Wolfgang Uhlmann und IM Wolfgang Pietzsch teilnehmen. Doch es sollte sich als sehr schwierig erweisen, ein derart erlesenes Teilnehmerfeld nach Berlin zu bekommen.
GM Jewgeni Wasjukow gewann schließlich das Gedenkturnier mit 11½ aus 15 vor Leonid Stein, Mijo Udovcic je 10½, Alberic O’Kelly 9 und Jiri Fichtl 8½. Uhlmann wurde bester Deutscher mit 8 Punkten und Platz 7. Er war der einzige der o.g. Spieler, der dann auch wirklich teilnahm.
1968: Emanuel-Lasker-Gedenkturnier
Im Casino des Walter-Ulbricht-Stadion’s (früherer Name des 1992 abgerissenen Stadion’s der Weltjugend) fand im November/Dezember 1968 anläßlich des 100. Geburtstags von Emanuel Lasker ein großes internationales Turnier statt. Die normalen Runden wurden nachmittags ab 15.30 Uhr ausgetragen. Für die Hängepartien mußten die Teilnehmer einen längeren Weg ins Kino “International” in der Karl-Marx-Allee auf sich nehmen.
Wolfgang Uhlmann siegte mit 10½ aus 15 vor dem punktgleichen David Bronstein und Alexej Suetin 9½.
1984: Internationales Turnier SC Kreuzberg
Im Rathaus Kreuzberg veranstaltete der SC Kreuzberg im März 1984 sein 1. Internationales Turnier. Der rumänische GM Florin Georghiu gewann das Turnier mit 6½ aus 9. Weitere Reihenfolge: 2. IM Ralf Lau 6, 3. IM Wlodzimierz Kruszynski 5, 4./5. Dr. Heinz Lehmann, Luben Popov je 4½, 6.-8. Thomas Grzesik, Panagiotis Cladouras, Mladen Muse je 4, 9. Frank Grzesik 3½, 10. Margareta Muresan 3.
Florin Gheorghiu gewann nach dem Turnier noch ein offenes Schnellturnier des SC Kreuzberg mit 64 Teilnehmern.
Das 2. Internationale Turnier fand übrigens 1991 statt, allerdings ohne Großmeister.
1984: 1. Internationales AdW-Turnier
Die Sektion Schach der Akademie der Wissenschaften in Berlin führte Ende 1984 ihr 1. Internationales Turnier durch. Hauptschiedsrichter war Uwe Bade, der auch das aktuelle Großmeisterturnier leiten wird. Die sowjetischen Gäste dominierten und belegten die drei ersten Plätze. Der einzige Großmeister im Feld, Waleri Tschechow, siegte. Außer ihm nahmen nur noch zwei weitere internationale Titelträger teil. Einer von ihnen war IM Raj Tischbierek, den wir im Hotel Kronprinz wiedersehen werden. Er war zwar mit Elo 2460 Mitfavorit, lief aber im Turnier seiner Form hinterher.
Das Turnier fand im erst wenige Monate alten Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur an der Friedrichstraße statt.
Endstand: 1. GM Waleri Tschechow 7½, 2. Rustem Dautow 7, 3. Sergej Kalinitschew (alle UdSSR) 6½, 4. IM Günther Möhring 6, 5. IM Raj Tischbierek 4, 6./7. Christian Syré (alle DDR), I. Janwarjow (UdSSR) je 3½, 8. Wolfgang Thormann (DDR) 3, 9. J. Reznicek (CSSR) 2½, 10. Alexander Okrajek (DDR) 1½
Die Sektion Schach von AdW war eine der führenden in der DDR. 1999 löste sich der Verein auf und ging geschlossen zum SC Friesen Lichtenberg.
1988: Ernst-Thälmann-Gedenkturnier
Je fünf Großmeister aus der UdSSR und DDR trafen im April 1988 in einem Rundenturnier im Haus der Sowjetischen Wissenschaft und Kultur aufeinander. Turnierleiter war der Berliner Dieter Urban, Sektionsleiter Schach bei AdW. Sieger wurde Sergej Smagin 6½ vor Waleri Tschechow 6 und Rainer Knaak 5½. Die weiteren Plazierungen: 4. Gennadi Saitschik 5½, 5. Juri Balaschow 5, 6. Lutz Espig 4½, 7. Wolfgang Uhlmann 4, 8. Uwe Bönsch 3, 9./10. Lothar Vogt, Aivars Gipslis je 2½.
1988: Vierer-Schnellturnier mit Karpow
Am 19. Oktober trafen im Haus der Sowjetischen Wissenschaft und Kultur in der Friedrichstraße Anatoli Karpow und drei der stärksten DDR-Spieler in einem kleinen Schnellturnier aufeinander. Der dreifache Weltmeister Anatoli Karpow (UdSSR) prüfte GM Rainer Knaak, GM Lutz Espig und IM Raj Tischbierek. Gegen Knaak und Espig gewann Karpow, die Partie gegen Tischbierek endete Remis – genau wie die Partien der DDR-Spieler untereinander.
1990: 80 Jahre SVg Lasker-Steglitz
Über den Jahreswechsel 1989/90 führte die Schachvereinigung Lasker-Steglitz ein Großmeisterturnier anläßlich ihres 80jährigen Bestehens durch. Zwölf Spieler aus der Bundesrepublik und West-Berlin, aus Dänemark, der Schweiz, Jugoslawien und der DDR kämpften um den Sieg. Es war die Zeit des Aufbruchs. Kurz zuvor war die Mauer gefallen und die Ost-Berliner Schachfreunde konnten nun endlich auch West-Berlin besuchen. Der unvergessliche Albrecht Colditz hatte auch einen Spieler aus der DDR zum Turnier eingeladen. IM Hans-Ulrich Grünberg war der amtierende DDR-Meister und hätte beinahe auch dieses Turnier gewonnen.
Sieger wurde am Ende aber der jugoslawische GM Bosko Abramovic vor GM Stefan Mohr und Grünberg.
Das Turnier fand besonders in den Printmedien ein Echo. Das Internet gab es damals ja noch nicht.
Arno Nickel berichtete im Berliner Volksblatt und für 10 DM gab es Bulletins vom Turnier. Am 30. Dezember war Bundestrainer GM Klaus Darga zu Besuch.
Die Rahmenturniere gewannen die Muse-Brüder. Mladen gewann die beiden Blitz- und Drazen das Schnellturnier.
1999: GM-Turnier in Tegel
Im August 1999 luden der SC Kreuzberg und der SK König Tegel zu einem gemeinsamen Großmeisterturnier zum 50jährigen Gründungsjubiläum beider Vereine. Austragungsort war das Hotel Am Borsigturm in Tegel.
Obwohl das Turnier groß angekündigt wurde und zahlreiche Zuschauer anzog, hat auf der Website des Berliner Schachverbandes kein Bericht die zahlreichen Änderungen überlebt. Da wird der Webmaster im Archiv buddeln müssen, um das Turnier wieder anständig zu präsentieren…
Am Turnier nahmen 12 Spieler teil, darunter die Berliner IM Mladen Muse, IM Robert Rabiega, IM Alexander Lagunow, FM Dr. Manfred Glienke und FM Ulf von Herman. Sieger wurde GM Roman Slobodjan vor Muse und GM Peter Wells.
Parallel fand ein Internationales Meisterturnier statt, das von IM Zbigniew Jasnikowski (Polen) gewonnen wurde.
2000: Preis des Schach-Kalender
Schachverleger Arno Nickel strickte vor neun Jahren das bislang letzte GM-Turnier mit der heißen Nadel. Es war ein “kleines, aber feines Schachturnier” wie er in seinem Bericht schrieb. Die zehn Teilnehmer standen erst sehr spät fest. Ursprünglich gehörte dazu der damals 14jährige Chinese Bu Xiangzhi. Er sagte allerdings kurz vorher ab, nicht ohne trotzdem kurz nach Berlin zu kommen, um die Startnummern der Turnierteilnehmer auszulosen und den SC Kreuzberg zu besuchen.
Das Turnier führte Nickel in seinem Schachladen Lasker’s durch. Berliner Teilnehmer waren IM Rainer Polzin, IM Robert Rabiega, IM Dimitri Bunzmann, IM Michael Richter und IM Dr. Manfred Glienke. Sieger wurde GM Suat Atalik aus der Türkei vor GM Michail Saltajew aus Usbekistan und Polzin.
Partien vom Turnier drangen nur spärlich an die Öffentlichkeit. “Im Interesse der Teilnehmer werden nicht alle Notationen veröffentlicht” schrieb Nickel. Ebenso drangen keine Fotos an die Öffentlichkeit. Die Zahl der Zuschauer konnte man an einer Hand abzählen, da das Turnier nirgendwo angekündigt wurde. So wünscht man sich Großmeisterturniere eigentlich nicht.